Die Schülerkapelle des Barmer Realgymnasiums
(heute Gymnasium Sedanstraße)
Um die Idee, eine Schülerkapelle am Barmer Realgymnasium zu gründen, nachvollziehen zu können, bedarf es eines geschichtlichen Rückblicks auf das Jahr 1905. Am 9. Mai wurde nämlich aus Anlass der 100. Wiederkehr des Todestages von Friedrich Schiller eine Linde in den Barmer Anlagen gepflanzt.
Der General-Anzeiger hält dieses Ereignis noch am gleichen Tag wie folgt fest:
Heute früh erfolgte auf dem neuen Schillerplatz in der Barmer Anlagen die Pflanzung der Schiller-Linde. Die Schüler der vier höheren Knabenschulen marschierten in feierlichem Aufzuge auf die Höhe, wo sich inzwischen auch der Oberbürgermeister Dr. Lentze, Bürgermeister Brodzina, Herren des Kuratoriums der höheren Lehranstalten und Mitglieder des Verschönerungs-Vereins eingefunden hatten. Die Schülerkapellen des Gymnasiums und der Oberrealschule intonierten den Beethovenschen Chor „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre". Daran anschließend hielt Gymnasial-Direktor Professor Evers zur Weihe des Schillerplatzes und der Linde eine zündende Ansprache, die mit dem Verse aus Schillers „Glocke": „Möge nie der Tag erscheinen" schloss. Unterdessen waren bereits die Vorbereitungen zur Pflanzung der Schillerlinde getroffen worden. Die vier Schuldirektoren, je zwei Lehrer der vier Schulen, sieben Schüler sowie der Vorsitzende des Verschönerungsvereins Rob. Barthels taten die ersten Spatenwürfe, die sie mit Weihesprüchen begleiteten. Zum Schlusse sangen sämtliche Festteilnehmer unter Begleitung der Schülerkapellen drei Verse des Reiterliedes „Wohlauf, Kameraden" aus „Wallensteins Lager".
Unser Foto zeigt die junge Linde (Tilia platiphillos) sowie von links nach rechts:
Direktor Michaelis (Realgymnasium), Robert Barthels (Vorsitzender des Barmer Verschönerungsvereins), die Direktoren Evers (Gymnasium, 1931 mit dem Elberfelder Gymnasium zum „Barmer Gymnasium in Elberfeld" zusammengelegt, heute Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasium), Kaiser (Oberrealschule) und Dannemann (Realschule).
Während die Schüler des Gymnasiums Bleicherstraße und der Städtischen Oberrealschule ihre eigenen Schülerkapellen aufspielen ließen, waren die Schüler des Realgymnasiums Barmen stets auf Gastmusiker angewiesen. Zwar gab es auch bis zum Jahre 1905 musikinteressierte und -begabte Schüler, jedoch fehlte es zum einen an dem nötigen Geld, die Instrumente kaufen und instand halten zu können, zum anderen auch an Schülern, die bereit waren, das Spielen in einer Musikgruppe zu erlernen. Die Schillerfeier im Frühjahr 1905 war wohl das Ereignis, das den Ausschlag gab, unmittelbar im Anschluss an die Feierlichkeiten die musikalische Begabung der Sedan-Schüler zu fördern – die Schülerkapelle wird offiziell gegründet; die Auftritte hat man sowohl in den Jahresberichten der Schule als auch in den Schülerzeitungen schriftlich festgehalten.
Aus dem Jahresbericht 1908:
Am 19. Oktober [1907] beteiligten sich die Primen und Sekunden [Klassen 10-13] samt der Kapelle an der feierlichen Einweihung des Bismarckturmes auf der Hardt und stifteten einen Kranz mit der Aufschrift: „Dem großen Vorbild deutscher Jugend.“ – Die Weihnachtsfeier fand bei großer Beteiligung des Publikums am 19. Dezember statt. – Den Geburtstag Sr. Majestät des Kaisers feierten wir am 26. Januar in der festlich geschmückten Aula unter starker Beteiligung des Publikums. Die Festrede hielt Herr Oberlehrer Dr. Duetschke über „Die erste Bevölkerung Barmens nach der Anlage ihrer Höfe“. – Das diesjährige Konzert fand am 17. März statt. Der Chor trug kirchliche Gesänge alter Meister und Volkslieder vor. Der Musikverein brachte Werke von Gluck und Bizet zum Vortrag. Alle diese Feste wurden durch die Vorträge unserer wackeren Kapelle verschönt, die sich unter tüchtigen Kapellmeistern sehr erfreulich entwickelt hat.
Weniger erfreulich die geschichtliche und politische Entwicklung in den Jahren 1913/1914. Diese Tatsache beeinflusste damals natürlich auch die Schülerkapelle entscheidend. So geriet das Aushängeschild des Barmer Realgymnasiums in akute Geldnot – Uniformen und Instrumente mussten stets in ordentlichem Zustand sein – ,zum anderen rückte die Marschmusik, die den Enthusiasmus zum Aufbruch in den Ersten Weltkrieg stimmungsbildend widerspiegelt, mehr und mehr in den Vordergrund.
Das älteste uns erhaltene Foto zeigt die Schülerkapelle im Jahr 1913
unter der Leitung von Paul Körting.
In den darauffolgenden Jahren ist die Schülerkapelle stets bei größeren Feiern beteiligt. Als Veranstaltungsort sei hier z. B. das alte Barmer Stadion (heute: Gelände der Bereitschaftspolizei auf Lichtscheid) genannt, in dem alljährlich das Sommerspielfest ausgetragen wurde.
Anfang 1922 erlitt die Schülerkapelle einen empfindlichen Rückschlag, da viele gestandene Musiker die Kapelle verließen und die Neueinsteiger erst einmal ausgebildet werden mussten. Am 22. April 1922 fand die Richard-Wagner-Feier, die an den Geburtstag des großen deutschen Komponisten erinnern sollte, in der neuen Besetzung statt. Eingeleitet wurde die Feier durch den Einzugsmarsch aus „Tannhäuser". Dass die Musiker unter der Leitung des damaligen Unterprimaners Julius Kornacker in kurzer Zeit wieder an alte, gewohnte Maßstäbe anschließen konnten, hat das zu dieser Zeit einzige jüdische Mitglied der Schülerkapelle, Ernst Apfel, der die Zugposaune blies, in einem Bericht festgehalten.
In der schweren Inflationszeit von 1923 feierte das Realgymnasium im November sein 100-jähriges Bestehen. Im Gegensatz zu der Zeit des Ersten Weltkrieges, in der vorwiegend Soldatenlieder und Märsche gespielt wurden, wird anhand des Festprogramms deutlich, dass sich die Schülerkapelle mehr und mehr der Unterhaltungsmusik zuwandte. Bei der Festfeier am 13. November 1923 spielte die Kapelle neben den anderen Mitwirkenden u. a. die „Sommerluftpolka" von Ransch zur großen Freude der Festteilnehmer.
Bis zum Jahr 1927 spielte die Kapelle regelmäßig auf Sommerfesten und Feiern. In diesem Jahr stiegen wieder einmal viele Musiker aus. Sie wurden durch neue ersetzt. Neben dieser personellen Umstellung mussten auch einige Instrumente, die bereits vor dem Ersten Weltkrieg angeschafft worden waren, ausgetauscht oder repariert werden. Die Veranstaltungen in diesem Jahr waren sehr zahlreich; erinnert sei an das Spielfest der Barmer Schulen, die Verkehrswoche und die Nothilfe.
Nach Weihnachten 1927 wurde bei einigen Kapellmitgliedern der Wunsch laut, neben den relativ einfach zu spielenden Märschen auch Konzertstücke einzustudieren, was aber mit der gesamten Kapelle nicht umzusetzen war. Es bildete sich die „Salonkapelle", eine Elitetruppe aus dem Musikerkreis. Dass dieses Projekt nicht geschadet hat, zeigte sich zweieinhalb Jahre später, denn 1930 feierte die Kapelle unter der Leitung von Fritz Chr. Gerhard ihr 25jähriges Bestehen.
Ab 1930 gab es für die Schüler drei Möglichkeiten, neben dem normalen Musikunterricht praktisch zu musizieren: Singen im Chor, klassische Musik im Orchester und Blasmusik in der Kapelle. Der Einsatz in der Kapelle war besonders begehrt, da diese die Schule auch nach außen hin repräsentierte und ein besonderes Aushängeschild war. Kapellchef Hajo Krietemeyer setzte bis 1937 hohe Maßstäbe für seine Nachfolger.
Die NS-Zeit hat die Schülerkapelle ganz wesentlich beeinflusst. Die schmucken „Össkes" (Schülermützen) wurden verboten, und die Uniformen verschwanden. Was zu spielen war, bestimmten die Musiklehrer nach den Vorgaben der Partei. Um 1940 häuften sich die Austritte aus der Kapelle, da viele Schüler vorzeitig zur Wehrmacht einberufen wurden.
Im März 1943 hat der verbliebene Rest seinen letzten Auftritt zur eigenen Abiturienten-Entlassungsfeier in der Aula. In der Nacht vom 29. auf den 30. Mai 1943 verbrannten beim verheerenden Luftangriff auf Barmen die Instrumente und die Noten. Dies war das endgültige Aus der Schülerkapelle.
An dieser Stelle möchte ich mich bei allen bedanken, die es mir durch Wort und Schrift ermöglicht haben, diesen Artikel zu schreiben.
Thorsten Schwafferts
Fotos: Sedan-Archiv |